Christophersen und die Ruhe

Fischer Johann Christophersen in Bornhöved

 

Bornhöveder See, Belauer See und Schmalensee liegen am Südwestrand der holsteinischen Seenplatte. Kaum jemand kennt sie. Touristen gibt’s hier wenige. Christophersen ist das recht. Er liebt in der Natur die Ruhe und die Einsamkeit. Seine frischen und geräucherten Fische und Aale verkauft er zweimal in der Woche auf dem Markt in Neumünster.

 

Das Eis in den Schlaglöchern kracht unter den Reifen. Der Weg führt am See entlang. Am Ende stehen die Häuser des Hofs. Hinter ihnen wieder Wasser. Johann Christophersens Anwesen liegt auf einer engen Landzunge zwischen Bornhöveder See und Schmalensee. Die beiden Männer sind längst bei der Arbeit. Zusammen mit Kompagnon Sönke Nagel zieht Christophersen Saiblinge und Maränen, Forellen, Karpfen und Brassen auf Haken. Der Tierarzt war eben da, zu früh, um Fische zu kaufen. Er ist im Stall verschwunden, wirft einen Blick auf Christophersens Kühe.

Die in den rußschwarzen Ofen geschichteten Holzscheite stammen von den Erlen am Ufer. Mit dem Gasbrenner entzündet er sie. Ein Duft nach See, nach Ofen und Wärme. Er wirft Erlen- und Buchenspäne ins Feuer. Beißender Rauch quillt aus allen Öffnungen und Ritzen der Räucherkammer. Mir tränen die Augen. Er schmunzelt und schaut aufs Thermometer: 50 Grad. Er schüttet Späne nach. Sönke Nagels Kopf in der Tür: „Ich mach schon mal das Boot klar.“ –„Nimm die Tonne fürs Netz mit.“ Das Thermometer im Blick, versinkt der alte Fischer wieder in Schweigen. Ruhe kehrt ein. Man redet nicht viel hier im Norden.

Das Wasser in den drei Seen gehört zum saubersten in Deutschland, sagt Christophersen. Probleme gibt es dennoch. Landwirte setzen zu viel Dünger ein. Die Nährstoffe landen in den Seen. Den Fischen schadet das nicht. Aber dem Ökosystem.

In diesem Jahr ist es 40 Jahre her, dass Johann Christophersen die Fischerei von seinem Vater übernahm. Seine Vorfahren haben den Schmalensee 1804 vom Herzog von Ascheberg gekauft. Hat sich im Laufe der Zeit etwas geändert? „Oh ja! In den 80ern hatten wir Tonnen von Flusskrebsen in den Reusen. Dann kam das Virus, von Krebsimporten aus Thailand, über Kläranlagen eingeschleppt, innerhalb weniger Jahre waren die Krebse weg.“ Auch die Aalfischerei ging drastisch zurück. „Die verflixten Kormorane“, schimpft er. „Seit 20 Jahren sind sie nun hier. Und lieben unsere kleinen Blankaale über alles.“

Es tuckert leise. Geschickt steuert Sönke Nagel das Boot mit dem Heck voran durch einen Schilfgürtel aus der Aue hinaus auf den See. Eben noch hatte Christophersen den Kopf gewiegt, als ich den Wunsch äußerte, dabei zu sein. „Wenn ein Fremder mitfährt, bleiben die Netze leer“, hatte er abergläubisch gesagt. „Es sollen nie so viele Augen ins Wasser rein- wie rausgucken, das mögen die Fische nicht.“ Aber ich durfte mit.

An der Oberleine ziehend holt der junge Fischer das Netz ein. Erst nach etwa 20 Metern spürt er zum ersten Mal ein Zucken. Mit geübten Fingern holt er einen großen Brassen aus dem Nylongespinst und lässt ihn in das im Boot eingebaute Bassin platschen. Gerade mal zwei weitere Brassen und ein großer Hecht kommen hinzu. Ist doch was dran am Aberglauben? Sönke Nagel hat eine Erklärung: Die Seen sind bis zu 33 Meter tief. Die Fische tauchen im Winter in die tiefen Regionen ab, wo sie überleben, wenn der See zufriert. “Da kannst du sie nicht fischen”, sagt er. Trotzdem: „Vier Stück sind schon extrem wenig für Ende Januar.“

Der Räucherofen hat 80 Grad erreicht. Die Temperatur sinkt wieder. Der Rauch lässt nach. Beim Öffnen schimmern die Fische goldbronzen. Satter Duft zieht in die Nase. Die beiden verpacken die noch warmen Fische in offene Kisten. Am nächsten Tag ist Markt in Neumünster. Da liegen sie neben dem frischen Fang zum Verkauf.

 

Bevor es mit den Fischen losgeht, füttert Christophersen frühmorgens die Kühe und kümmert sich um seine paar Schafe, er mistet die Ställe aus. Die Proben müssen ins Labor, im Büro müssen alle Arbeiten protokolliert werden. Als Fischer und Bauer ist er immer auch Bürokrat. Und eben auch See- und Landschaftspfleger.

Gut, dass sein Kompagnon da ist. Der lernte die Fischerei, nachdem der elterliche Hof vor Jahren abbrannte. „Aber so eine Arbeit macht man nicht nur für Geld“, sagt der Jüngere. „Das lohnt sich nur, wenn man es gern macht.“ Er wird alles übernehmen, wenn der kinderlose Christophersen irgend wann müde ist.

Der noch warme Saibling, den ich mit nach Hause nehme, duftet köstlich. Sein Fleisch glänzt rosa. Das Raucharoma intensiviert den Fischgeschmack so sehr, dass es ist, als entstünden Bilder am Gaumen – der See, der Hof, die Landschaft zergehen auf der Zunge. Und nicht mehr als ein Hauch Meerrettich und ein Stück frisches Sauerteigbrot als Beilage sorgen für eine runde, köstliche Mahlzeit.

Der Beitrag entstand 2015 für die Zeitschrift [Mohltied!].

 

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